Aus der NRZ am 10.10.2017
Ein Artikel von Andreas Renten
Schermbeck. „Ein neues Lied wir heben an“, unter diesem Motto hatte die evangelische St. Georgsgemeinde am Sonntagabend in die Kirche zu einem ebenso interessanten wie anspruchsvollen Lesekonzert eingeladen. Lieder und Texte des Reformators Martin Luther standen im Mittelpunkt.
„Ein neues Lied wir heben an“, unter diesem Motto hatte die evangelische St. Georgsgemeinde am Sonntagabend in die Kirche zu einem ebenso interessanten wie anspruchsvollen Lesekonzert eingeladen. Lieder und Texte des Reformators Martin Luther standen im Mittelpunkt.
Dabei ergab sich ein inhaltliches Gegenüber: Den Kompositionen von René Mense aus dem Stoff bekannter Luther-Lieder für Cello solo begegneten Texte aus der Reformation. Schauspielerin Dorothea Baltzer übernahm den Part der Sprecherin, Christina Meißner von der Klangwerkstatt Weimar spielte das Instrument – und das ausgezeichnet.
Bornebusch gab wichtige Hinweise
Wolfgang Bornebusch, lange Jahre Pfarrer in der Gemeinde und für das kirchenmusikalische Programm verantwortlich, gab vor dem Lesekonzert einige wichtige Hinweise. „Beeindruckt von der Präsenz und Diktion“, so schilderte er seinen Eindruck von der Sprecherin aus einem Konzertbesuch. Mense habe in seiner Musik auf Elemente der Gotik und der Renaissance zurückgegriffen, zum Beispiel in einer bestimmten Tanzform. Seine Musik habe er damit Christina Meißner quasi „auf den Leib geschrieben“. „Sie dürfen auf die beiden gespannt sein“, machte Bornebusch das Publikum auf die beiden Interpretinnen neugierig.
Sprache der Gelehrten
In dem Konzert bekomme man Luther als Theologen zu fassen, erklärte er. Bornebusch würdigte Luthers „besonderen Umgang mit der deutschen Sprache“. Seine reformatorischen Texte auf Deutsch und damit für alle verständlich zu veröffentlichen, sei ein „absolutes Novum“ gewesen. Denn im 16. Jahrhundert war Latein die Sprache der Gelehrten und der Wissenschaft.
Eine „Demokratisierung des Wissens“ habe Luther ermöglicht, so Bornebusch weiter. Die Zweisprachigkeit des Reformators, er habe nieder- und mitteldeutsch beherrscht, habe ihm einen Ausgleich ermöglicht. Das Ergebnis sei eine „offensive und einfache Sprache“ gewesen, in der allgemeine Redensarten ihren Platz fanden und die von der Küste bis nach Bayern zu verstehen war.
„Der Titel ist mit Bedacht gewählt“, sagte Bornebusch über das Programm. „Traurig, wütend und verzweifelt“ habe Luther eine Ballade mit der Zeile „Ein neues Lied wir heben an“ geschrieben als Reaktion auf den Tod zweier Ordensbrüder, die nach einem Inquisitionsprozess auf dem Scheiterhaufen starben.
„Luthers Lieder in einem neuen Gewand zu hören“, diese Ankündigung machten Mense und Meißner wahr. Die Toccata „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ ließ das Original nur in kurzen Passagen aber deutlich aufscheinen.
Ob Tischrede aus dem Jahr 1539, Selbstzeugnis über den Ablass-Streit oder Luthers berühmte Verteidigungsrede vor dem Reichstag zu Worms: Dorothea Baltzer zeigte, dass Vorlesen eine Kunst ist, und es zwischen Reden (können fast alle) und Sprechen große Unterschiede gibt. Der Schauspielerin bei ihrem präzisen Vortrag zuzuhören war ein Genuss.
Ein Sponsor hat geholfen, das Lesekonzert, das auch in Dänemark gespielt wird, nach Schermbeck zu holen: Bornebusch dankte der Tonstiftung Nottenkämper für ihre Hilfe. Seiner Bitte, nicht nach den Beiträgen, sondern erst am Schluss, dann aber umso heftiger zu applaudieren, sind die Zuhörer gerne gefolgt.